Geburtsberichte | Hausgeburt von R.
Mutig eine Kokosnuss herausgedrückt
Ich hoffte auf einen komplikationslosen Schwangerschaftsverlauf, denn nur dann konnte ich mir eine Hausgeburt gönnen. Ich freute mich riesig auf die Geburt (ich hatte ja keine Ahnung!). Mir gefiel manches aus den Recherchen zu Orgasmic-Birth. Also nahm ich mir fest vor, meinen Oxytocin-Spiegel vor der Geburt so hoch wie möglich zu halten.
Am WC nach dem „Barbie“-Film im Kino bemerkte ich das erste Geburtszeichen: einen rosa-weißlichen Ausfluss. BÄM! Ich sagte alles für den nächsten Tag ab und machte mir eine gemütliche Zeit. Nachmittags war ich plötzlich hundemüde und schlief bis 16:00 Uhr. Ein sehr glücklicher Zufall, denn das sollte mein letzter Schlaf für eine lange Zeit werden.
Beim Spazierengehen nach dem Schläfchen bemerkte ich ein wiederkehrendes Ziehen im Bauch, ähnlich wie Regelschmerzen. Als ich mich bei jeder Wehe bei einem Baum festhalten musste, ging ich heim. Die Wehen kamen anfangs 2mal pro Stunde und steigerten sich bis 22:00 Uhr auf alle 10 Minuten. Sie wurden auch stärker. Etwas später sang ich wie ein schottischer Dudelsack, das half. Außerdem kümmerte ich mich um meinen Oxytocin-Spiegel: Orgasmus, Massage, Vollbad etc.
Das Bad änderte gar nichts. Der Orgasmus ließ die nächste Wehe stark und schmerzhaft werden. Da bekam ich es mit der Angst zu tun. Statt singen war Fluchen angesagt. Schließlich musste ich mich übergeben und wurde doch unsicher: Konnte das tatsächlich die Geburt sein? Also nahm ich noch ein Bad. Angeblich würde das ja Vorwehen von Geburtswehen unterscheiden. Auch dieses zweite Vollbad änderte nichts an den Wehen. Ich versuchte, den Muttermund zu tasten und vermutete, dass er bereits 2 cm offen war.
Als ich mich dann um Mitternacht zum zweiten Mal übergeben musste, riefen wir die Hebamme. Die Wehen kamen jetzt im 5-Minuten-Takt und begannen, richtig unangenehm zu werden. Als die Hebamme ankam, bestätigte sie: Der Muttermund ist bereits 3 cm offen. Mein Mann und ich realisierten erst jetzt: Das ist die Geburt! Ich rollte mich also einige Zeit am Pezzi-Ball, bekam Kreuzmassagen, sang, muhte, schimpfte und fluchte. In den Wehenpausen versuchte ich zu schlafen. Mein Mann ließ den Geburtspool im Wohnzimmer ein. Ab circa 3:00 Uhr war ich im Pool. Ich schaute in die schöne Lichterkette und hatte das Gefühl, die Wehen immer besser veratmen zu können. Übergeben musste ich mich trotzdem immer wieder. Die Stimmung war sehr ruhig. Ich war wie in Trance. Die Hebamme saß neben dem Pool und mein Mann schüttete heißes Wasser nach. Ich genoss in den Wehenpausen den Schein der Lichterkette.
Ich hatte nach ein paar Stunden das Gefühl, die Lage unter Kontrolle zu haben. Ich sagte zur Hebamme: „Toll! Das war eine leichte Wehe!“ Sie antwortete: „Hm. Weißt du, es sind die langen, starken Wehen, die wir brauchen. Die bringen uns das Kind.“ Frust. Sie meinte, dass die Wehen seltener und schwächer geworden waren. Ich dachte, das leichtere Körpergefühl lag an meinen tollen Gebärkünsten. Die Hebamme lockte mich mit einem „Du darfst gleich wieder hinein“ um ca. 6:00 Uhr aus dem Pool heraus. Sie legte mir nahe, ein wenig durchs Zimmer zu stampfen, um die Wehen wieder in Gang zu bringen. Dann wurde es wild. Lange, starke Wehen in kurzen Abständen. Ich schimpfte, schüttelte und biss meinen Mann. Die Schmerzen waren enorm, aber immer nur ganz kurz, quasi am Peak der Wehe. Der Satz „Gleich vorbei!“ half mir sehr. Noch immer musste ich mich oft übergeben.
Schließlich gab mir die Hebamme einen entscheidenden Rat: „Erinnere dich daran, dass dein Kind nach unten durch deine Vagina rauskommen wird. Nicht nach oben. Keine Angst“. Ich begann bewusst die Wörter „RAUS“ und „RUNTER“ in die Schimpftiraden einzubauen. Sofort hörte das Übergeben auf und die Wehen wurden noch anstrengender. Schließlich platzte die Fruchtblase. Ich spürte, dass das Kind jetzt kommen würde. Ich bestand darauf, sofort zurück in den Pool zu dürfen und flitzte in der nächsten, sehr kurzen Wehenpause zurück in den Pool. Ich tastete meinen Muttermund wieder und spürte ganz innen drinnen das samtige Köpfchen meines Kindes. Tränen.
Die Hebamme meinte, dass ich bei den Wehen bereits mitschieben könnte. Die Wehen wurden jetzt ganz anders, es hatte etwas von dem Gefühl, eine Kokosnuss herauszudrücken. Die Hebamme erinnerte mich mit „Nicht fürchten!“ an meine große Angst, die ich in dem Moment spürte: „Das ist zu eng und geht sich niemals aus.“ Ich stürmte innerlich meine Angstgrenze und schob mit allem Mut und wilden Schreien mit. (7:30) „Ich sehe schon den Kopf, unser Kind ist gleich da!“ strahlte mein Mann mich von oben haltend an. Mit der nächsten Wehe war der Kopf geboren, gleich darauf hob die Hebamme ein weit spuckendes, quietschendes, angespanntes kleines Wesen aus dem blutigen Wasser. Ich hatte unseren kleinen Sohn geboren. Das Größte und Mutigste, was ich jemals gemacht habe.
Fast genau so viel Mut brauchte ich für das Wochenbett. Die häufige Betreuung unserer sensationellen Hebamme und meiner Familie war ein Segen. So wurde diese unglaubliche Verwandlung von Frau zur Mutter stärkend begleitet.