Geburtsberichte | Hausgeburt von Matilda
Schnell und wild
Ich war im 4. Monat schwanger, und das zum ersten Mal. Die Frage über eine Hausgeburt stand schnell im Raum. Sowohl ich als auch mein Freund Matthias sind nicht große Befürworter von unnötigen Arztbesuchen und glauben fest an die Kraft des eigenen Körpers. Wieso sollte also eine Geburt, eines der natürlichsten Prozesse der Natur, prophylaktisch mechanisiert werden?
Doch nach der schönen Theorie kamen natürlich auch bei uns die üblichen Zweifel hoch. Ob es wohl sicher genug ist? Ob ich, als Frau, es wirklich schaffe? Nach dem ersten Treffen mit unserer Hebamme, unserem „Geburtsengel“ R. war die Geburt zuhause eine klare und willkommene Entscheidung.
Zu diesen Zeitpunkt war mir die Betreuung durch die Schwangerschaft ein zentrales Anliegen. Die Geburt war noch weit weg und ich brauchte jemanden, der meine körperlichen und psychischen Erfahrungen, „tabuisierte” Zweifel und Empfindungen liebevoll begleitet. R. war genau die Richtige dafür. Sie kam jeden Monat für ein angenehmes Gespräch zu uns nach Hause und prüfte in den letzten Monaten die Herzschläge des kleinen Babys. Ich fühlte mich ihr völlig anvertraut und hatte das Gefühl, über alles reden zu können. Ich denke, auch im Nachhinein, dass das ein zentraler Punkt für eine schöne und fast beschwerdenfreie Schwangerschaft war.
Der Bauch wuchs und wuchs und so befanden wir uns schnell im letzten Schwangerschaftsmonat. Ich fühlte mich zuversichtlich und hatte eine abwartende Neugierde auf die Geburt. Und ich betone hier abwartend. Denn der kleine Spatz ließ auf sich warten!
Nach acht Tagen Übertragung wurde ich langsam nervös. Ich ging zur Klinik für die Pflichtkontrollen und schrieb, etwas enttäuscht, den Termin für die Einleitung der Geburt am zehnten Tag in den Kalender ein. R. kam in dem Zeitraum fast täglich zu Besuch und empfahl uns, nicht zu sehr auf die Geburt „zu warten”, es einfach laufen zu lassen. Nicht so einfach. Du trägst 10 Monate ein Kind in dir und sollst zum Schluss an was anderes denken als an die Geburt?! Ich probierte mich abzulenken und all diese super Wehen-Trigger auszuprobieren. Spazieren, Treppen steigen, Geschlechtsverkehr, scharf essen… am besten alles gleichzeitig! Nix. Ich spürte ein paar Mal leichtes Ziehen am Unterleib, doch in der Nacht gingen alle Schmerzen wieder weg.
Am Abend vor dem Kliniktermin spürte ich wieder leichte Krämpfe. Ob das jetzt endlich mal die Wehen sind? Ich hatte Angst, mich hinzulegen und sie wieder verschwinden zu lassen. Also entschloss ich mich, den berühmten Wehen-Cocktail auszuprobieren; ein wenig Schnaps, ein wenig Rizinusöl, ein wenig Marillensaft. Es schmeckte wunderbar schrecklich! Das Ziehen wurde nicht wirklich stärker und erschöpft legte ich mich doch ins Bett. Dieses Mal nicht für lange. Nach ein bis zwei Stunden wurden die - doch - Wehen stärker und das Liegen unangenehm. Ich flüstere Matthias: „Ich glaub, jetzt geht es wirklich los”. Es war 11 Uhr nachts und das Ziehen „da unten“ immer intensiver.
Wir probierten ein paar der Entspannungsübungen, die wir im Vorbereitungskurs gelernt hatten, doch schon schnell wollte ich nicht mehr berührt werden. Ich wanderte vom WC zum Sessel und wieder zurück. Abwartend, dass doch der Schleimtropf oder ein Blasensprung den „offiziellen” Start signalisieren würde. Es waren drei Stunden seit den ersten leichten „Wehen” vergangen und wir konnten noch nicht wirklich ein Rhythmus erkennen. Wir waren beide in der Theorie gefangen, dass es wahrscheinlich erst der Anfang ist und wir bei so einer Erstgeburt noch die ganze Nacht auf konstante Wehen warten könnten. Ich wollte R. nicht zu früh anrufen und sie mitten in der Nacht unnötig kommen lassen. Mein Ego…
Ich konzentrierte mich auf meine Atmung und versuchte, in mein Bauch reinzuspüren. Das Baby bewegte sich und ich bildete mir ein, auch den schnelleren Herzschlag zu merken. Ich war relativ ruhig und in mich gekehrt, doch die welligen Krämpfe wurden schnell ziemlich stark. Irgendwann sagte ich zu Matthias: „Ich hatte eine große Klappe! Ich weiß nicht, ob ich das schaffe ohne Drogen!” … Es war kurz vor 2 Uhr am Morgen und Zeit, R. anzurufen. Sie sagte nur: „Keine Sorge, ich komme gleich”.
Dies waren wohl die Worte, die ich hören musste, denn direkt nach dem Auflegen spürte ich ein drastischen Wechsel im Unterleib. Ich rannte wieder zum Klo mit dem Gefühl, das Rizinusöl schlägt ein und verursacht mir doch noch zusätzlich Durchfall. Fehlalarm. Auf der Toilette sitzend wurde mir klar, es ist das Baby, was kommt. „Matthias, das Baby kommt!!“ Ich bekam eine enorme Hitzewallung und er schleppte mich raus zum Balkon, um frische Luft zu schnuppern. Die Wehen hatten sich komplett verändert und ich spürte ein instinktives Verlangen zu drücken.
Mein Körper wusste genau, es war an der Zeit zu pressen. Ich legte mich auf das Bett und hörte erleichtert, wie R. durch die Tür kam. „R., das Baby kommt JETZT!“. Sie blieb ruhig und schaute sich meinen Muttermund an. Ihr Gesichtsausdruck wird mir lange in Erinnerung bleiben: leicht erstaunt und mit einem zarten Lächeln sagte sie: „O ja, ich sehe schon den Kopf“. Da platzte auch endlich Mal die Fruchtblase (wie mir danach, übertrieben, erzählt wurde, waren ihre Brille und sogar das Fenster nass!). Sie führte meine Hand leicht hinein und überwältigt spürte ich den Kopf meines Babys. Ab diesem Moment verfiel ich in eine Art Ekstase-Zustand.
Ich hörte R. und Matthias nur noch von Weitem und war nicht mir bewusst, was um mich geschah. Sie bereiteten das Zimmer vor, legten Tücher auf den Boden und sprachen sich ab, wie-wo-was nötig wäre. Ich hatte nur noch das Bedürfnis, mir die Haare zusammenzubinden und die richtige Position zum Pressen zu finden. Mein Körper dirigierte wie von alleine und schnell befand ich mich in der Hocke. Matthias saß auf einem Stuhl und ich stützte mich an seinen Beinen ab. Eine starke Presswehe in der Halbhocke und ich spürte, wie der Kopf rausdrängte. Kurz durchatmen, nochmal laut schreien und noch eine Wehe. Da „schwuppste“ das kleine Baby aus mir erleichternd raus. R. nahm es auf und drückte es direkt an meinen Oberkörper.
Ich schaute mir dieses göttliche Wesen an und die Zeit stand für immer still. Ich brauchte eine gefühlte Ewigkeit, um überhaupt nachzuschauen, ob es ein Mädchen oder Junge war. Die kleine und wunderbare Ayla sah am 22. April 2021 um 2.30 Uhr das Licht der Welt. Und zwar das Licht unseres wunderschönen Schlafzimmers in Wien. Es war alles perfekt; sie schaute mich mit ihren riesigen dunkelblauen Augen an und ich wusste, das alles genau so sein sollte, wie es in diesem Moment war.
Ich übergab die Kleine an Matthias, der sie fest an seinen nackten Oberkörper drückte und bestaunen konnte. Ich sah, wie die zwei sich verliebt anschauten.
Ich legte mich wieder aufs Bett und R. brachte sie an meine Brust. Die kleine Ayla wusste direkt, was zu tun war, sie nuckelte an meiner Brustwarze mit einer Natürlichkeit, die sogar mich erstaunte. Nach ca. 20 Minuten spürte ich wieder Presswehen im Unterleib. Es war an der Zeit, mich von der Plazenta zu verabschieden. Nach 4-5 ziemlich schmerzhaften Wellen war auch dies geschafft. Es war eh alles egal, ich wollte nur noch dieses himmlische Baby anschauen, das auf einmal auf unserem Bett lag. Erschöpft schliefen wir nun zu dritt in unserem warmen Nest ein.
Die Tage nach der Geburt waren leider etwas mühseliger als die Geburt. Ich hatte starke Unterleibsschmerzen, doch auch in der Notfallstation wussten sie nicht genau, woran es lag. R. kam nach der Geburt täglich zu uns und gab mir hilfreiche Tipps für Naturheilmittel, die die Schmerzen dann auch eindämmten. Ihre regelmäßige Anwesenheit und ihre wunderbaren Massagen (!!) versüßten noch etwas mehr die Wochenbettzeit. Ich war von Matthias sehr gut versorgt und konnte mich voll und ganz Ayla und dem Stillen widmen.
Diese Zeit des Kennenlernens halte ich ganz besonders warm in Erinnerung. Wir waren zu dritt in einer wunderschönen Blase, die Außenwelt gab es kaum. Bis heute und wahrscheinlich für immer bin ich Matthias wie auch unserem „Geburtsengel“ R. aus tiefsten Herzen dankbar, es so ermöglicht zu haben.
Matilda K.