Entwicklung der Hausgeburtshilfe in Österreich - vorwiegend in Wien
Heidi Achter
Waren noch in den 50iger Jahren 50% Hausgeburten, vor allem im ländlichen Raum, so verlagerten sich die Geburten in den Städten innerhalb von nur ein paar Jahren bis auf 1% in die Klinik. Parallel haben sich jedoch Entbindungsheime, die nur von Hebammen geführt wurden, in vielen Bundesländern, bis über die 70iger Jahre halten können. In Tirol hat sich das Sprengelhebammensystem bis zu unserem neuen Vertragsabschluß mit den Krankenkassen (1996) gehalten. Diese Regelung war meines Erachtens eine sehr gute, da die Hebamme bei der Gemeinde angestellt war und für die Betreuung aller Schwangeren ihres Sprengels zuständig war. Die Frauen wussten wo die Hebamme zu finden ist, Anfahrts- und Wartezeiten blieben gering.
Warum nahm es so eine Entwicklung?
Vorteile - Verlockungen Einerseits wollten die Hebammen nicht mehr so alleine arbeiten und suchten eine Anstellung in den neu ausgebauten geburtshilflichen Stationen. Die meisten Hebammen zogen es vor, einen gesicherten Arbeitsplatz zu haben - mit festem Einkommen, geregelten Dienstzeiten und weniger Verantwortung. Die Krankenkassen-Tarife waren damals, wie heute kein Anreiz in die Freipraxis zu gehen. Zum Beispiel war das Gesamtjahreseinkommen 1983 nach den geltendenTarifen - bei 33 Geburten mit Vor- u. Nachsorge - netto ATS 27 599,- per Monat ca. ATS 2300,-.
Somit verlagerte sich die Geburtshilfe immer mehr aus Hebammenhänden in die Klinik und zum Arzt. Der im Jahre 1973 eingeführte Mutter-Kind-Pass sah die Schwangerschaftsvorsorge nur durch den Arzt vor. Die Hebamme war, außer bei Frauen die zu Hause ihre Kinder bekamen, aus dem staatlichen Betreuungssystem ausgeschlossen. Die jungen Hebammen lernten schließlich nur mehr Schwangerschaftsbetreuung in der Klinik und die Geburtshilfe im Kreißsaal kennen. Das Wochenbett an der Klinik war und ist meistens mit Krankenschwestern besetzt. Es erforderte sehr viel Mut, Eigenverantwortung und Idealismus, wenn eine Hebamme dennoch in die Freipraxis ging.
Andererseits waren der Zerfall der Familienverbände und die Berufstätigkeit der Frauen ein weiterer ausschlaggebender Faktor, zur Geburt in die Klinik zu gehen. Die Pflege und die Hilfe zu Hause konnte immer weniger gewährleistet werden, so dass es für die Frauen sehr verlockend schien, die Geburt und das Wochenbett in der Klinik, wo die Frau versorgt war, zu verbringen.
Notstand der Mütter
Unzufriedenheit mit der Entwicklung in der klinischen Geburtshilfe und angeregt durch die „SANFTE GEBURT"- Bewegung setzte vor ca. 20 Jahren eine Veränderung zu Gunsten der Hausgeburtshilfe ein. Die französischen Ärzte Dr. Frederic Leboyer und Dr. Michel Odent und auch Eva Reich haben mit Filmen, Büchern, Workshops und Vorträgen viel dazu beigetragen. Nicht zu vergessen sind die Bücher von Ina May Gaskin „Die praktische Hebamme" und „Die spirituelle Hebamme" die für Hebammen und Frauen eine wichtige Lektüre war und noch immer ist. Viele Frauen und Männer bildeten Arbeitskreise zu den Themen Schwangerschaft, selbstbestimmter Geburt, Gebärhaltungen, Stillen und Leben mit dem Neugeborenen. Diesen Arbeitskreisen schlossen sich auch einige Hebammen an. Es entstanden Beratungsstellen, die Infos zum Thema gaben und Geburtsvorbereitungskurse und öffentliche Veranstaltungen organisierten. Die Frauen waren gut auf die Geburt vorbereitet und die Männer waren miteinbezogen. Dies bewirkte eine steigende Nachfrage nach Hausgeburtshebammen, weil die Frau nur zu Hause die Möglichkeit hatte ihr Kind selbstbestimmt zu gebären. Die Kliniken hatten sich noch nicht verändert, Kreißsäle mit 4 - 6 Betten waren unzumutbar.
Eine kurze Geschichte der freipraktizierenden Hebammen in Wien:
Anfang der 70iger Jahre gab es 3 Hebammen, die Frauen bei Schwangerschaft Geburt und Wochenbett zu Hause betreuten. Jutta, eine junge Hebamme die selbst schon 3 Kinder hatte, war unzufrieden mit den Geburtspraktiken in der Klinik - sie wagte sich in die Freipraxis. Sie war es auch, die mit ihrem selbstbewussten Auftreten viel zur Weiterentwicklung der freipraktizierenden Hebammen beigetragen hat. Mit voller Begeisterung machte sie Hausgeburten. Ihr Klientel kam aus anthroposophischen wie auch religiösen Kreisen, oft wurde sie aber auch vom Sozialamt angerufen „...da gibt es eine Frau ohne Krankenversicherung,..." ob sie ihr nicht beistehen könnte, bei der Geburt zu Hause. - „Keine Versicherung keine Krankenhausgeburt " Auf Grund der Bewegung für die "Sanfte Geburt" begannen Anfang der 80iger Jahre weitere 3 Hebammen mit Hausgeburten. Starthilfen bekamen sie von den älteren Hebammen und Jutta war bereit allen Hebammen Unterstützung bei allen Fragen zu geben. Die stetig steigende Zahl der an Hausgeburt interessierten Frauen ließ weitere engagierte Hebammen in den folgenden Jahren in der Hausgeburtshilfe ihr Auskommen finden. Die Anzahl der Hebammen, die Hausgeburten betreuten, hat im Jahre 1993 einen Höhepunkt mit 10 erreicht.
Die derzeitige Praxis der Wiener freipraktizierenden Hebammen
Eine Hausgeburtshebamme kann 35-40 Frauen im Jahr betreuen. Das Angebot umfasst 4-6 Schwangerschaftsbesuche, Geburtsbetreuung mit Rufbereitschaft ab 3.Wo. vor dem Geburtstermin und durchschnittlich 8 Wochenbettbesuche. Bei der Geburt ist die Hebamme alleinverantwortlich für die Kontrolle und Überwachung des Geburtsverlaufes. Mittlerweile hat sich in den letzten 10 Jahren viel in der Geburtshilfe verändert. Die Kreißsäle wurden umgebaut, jede Frau hatte nun ein eigenes Zimmer zum Gebären. Die Hebammen haben sich wieder auf ihre eigentliche Aufgabe der betreuenden und leitenden Fachfrau besonnen. Sie haben von erfahrenen Hebammen gelernt verschiedene alternative Betreuungsmethoden einzusetzen. Daraus entstand unter anderem auch ein Projekt der Geburtsbegleitung durch Hebammen im Krankenhaus. Die folgende Statistik gibt Einblick in unsere erfolgreiche Tätigkeit. Aufgrund der besonderen Arbeitsanforderungen an Hausgeburtshebammen, wird die Teamarbeit zum unverzichtbaren Bestandteil des eigenen Berufsbildes.
1.) Der Verein freier Hebammen im Hebammenzentrum wurde 1989 gegründet. Einerseits ist es ein Treffpunkt für Hebammen, wo gemeinsame Überlegungen, die sich auf die Rundumbetreuung der Schwangeren, technische Ausstattung, organisatorische Vorbereitung und Behandlung im Notfallsituationen beziehen, erarbeitet werden. Den jungen Hebammen kann eine Starthilfe für die Freiberuflichkeit gegeben werden. Andererseits kommt das Hebammenzentrum Frauen zugute. Sie kommen zur Beratung, zum ausführlichem Gespräch über vorherige Geburten und zur Beratung bei Steißlagen . Es hat sich schnell herumgesprochen, dass es dort Hebammen gibt, die wirklich Zeit haben. Dies schließt eine Lücke im Versorgungssystem. Wir haben auch einen zentralen Hebammenruf eingerichtet. Hier können sich Frauen bei Blasensprung, Milchstau, vorzeitigen Wehen und vielen anderen Fragen eingehend beraten lassen. Die Hebamme betreibt Krisenintervention per Telefon oder wenn nötig persönlich im Rahmen eines Hausbesuches. Je nach Fall löst sie mit den Frauen das Problem oder vermittelt weiter an den Arzt oder die Klinik. Immer mehr Frauen sind auf der Suche nach einer kontinuierlichen Betreuung durch eine Hebamme. Die Geburt erfolgt dann entweder zu Hause oder mit der ausgewählten Hebamme in der Klinik.
2.) Die kollegiale Zusammenarbeit mit einigen FrauenärztInnen bei der Schwangerschaftsbetreuung, sowie mit KinderärztInnen bei der Betreuung des Neugeborenen funktioniert schon recht gut. Wenn die Geburt zu Hause abgebrochen werden muss, gibt es die Möglichkeit gut in der Klinik aufgenommen zu werden. Trotz der elementaren Bedeutung, die der Hebamme bei der Betreuung unter der Geburt zukommt, muss sie nach wie vor um ihre gesellschaftliche Anerkennung ringen. Dies drückt sich u.a. in nicht angemessener Bezahlung von Seiten der Krankenkassen aus. Die Hebamme, die ausschließlich Hausgeburten betreut, ist somit nicht in der Lage mit einem Kassenvertrag zu arbeiten, da sie davon nicht leben könnte. Hebammen, die in unserer Zeit in Österreich Hausgeburten begleiten, und Frauen/Paare, die eine Hausgeburt wählen, sind gesellschaftlich und kulturell eine Minderheit und werden auch als Außenseiter betrachtet. Bundesweit gab es 1996 1% Hausgeburten, in Wien 1,2%. Gibt es bei einer Hausgeburt einen Zwischenfall, heißt die gesellschaftlich anerkannte Frage: Warum seid ihr nicht in die Klinik gegangen? Gibt es in der Klinik einen Zwischenfall, stellt indes niemand die Frage: Warum seid ihr nicht zu Hause geblieben? Die uralte Tradition von Hebammen-Geburtshilfe wurde in vielen Gegenden unterbrochen. Hebammen, die heutzutage außerklinische Geburtshilfe betreiben, haben wenig Vorbilder, von denen sie lernen und auf sie zurückgreifen können. Sehr deutlich ist für uns „jüngeren " Hebammen tagtäglich in unserer Arbeit zu spüren, dass die Frage wo Geburt stattfinden kann, in unserer Gesellschaft umstritten ist. Trotz dieser exponierten Stellung der Hausgeburten, in Ruhe arbeiten zu können, ist heutzutage ein zu bedenkender Faktor in der Hausgeburtshilfe.
Vorstellungen - Wünsche - Notwendigkeiten
Unser Ziel ist es, dass Frauen und die werdenden Eltern, den Geburtsort wählen können, die Schwangerenvorsorgeuntersuchungen gleichberechtigt von Hebammen gemacht werden können und die verschiedenen Betreuungssysteme von Krankenhaus und Hausgeburt nebeneinander stehen. Eine kluge, für Frauen/Paare und Kinder förderliche, feinfühlige, respektvolle Zusammenarbeit von Hebammen und Ärzten sehen wir als Gebot der Stunde.
Zitat von Dr. Friedrich P. Graf Spangsrade: „Mit dem Wissen um die Sache und um die Gefahren, mit der Unterstützung biologischer Heilverfahren, orientiert an den Fähigkeiten des einzelnen Menschen, mit dem Informations- und Aufklärungsstand unserer Zeit, mit Initiative und Selbstverantwortung erlauben es sich immer mehr Eltern, ihren eigenen selbstbestimmten Weg durch Schwangerschaft, Geburt und Kindesentwicklung zu gehen.
Dafür geben Hebammen, ihre Kraft und ihr Wissen und werden so zu Hoffnungsträgern für den menschengerechten Start in das Leben."