Texte rund um die Hebammenarbeit | Im Wochenbett ankommen
Regina Zsivkovits, Hebamme
Mütter-Väter-Elternwelten
Soeben geboren, klein und hochaktiv – Babys sind spannend, es ist aufregend, ihnen zuzuschauen, beim Schlafen, Wachwerden und Wachsein.
Sicher ist, dass es genauso interessant wäre, Eltern in den ersten Tagen und Wochen aufmerksam und interessiert zuzusehen, OHNE Tipps und Ratschläge zu geben. Sie wissen selbst sehr viel, probieren aus und haben starke Gefühle.
Groß sind aber auch ihre Unsicherheiten.
Forschen wäre ein guter Ansatz, sich und die Situation beforschen meint, hinter das Vordergründige zu schauen, um den Alltag zu verstehen, auch im Kleinen.
Dabei kann die Hebamme hilfreich sein.
Weil sie eingelassen wird in die Wohnungen, ins Private, hat sie die Chance, viel zu sehen und Essentielles anmerken zu dürfen.
Viel Praktisches und Notwendiges
Um den Alltag sollten sich die Frauen* nach der Geburt im Wochenbett gar nicht kümmern müssen, sie sind müde, meist stillen sie, und das Tag und Nacht. Körperpflege, essen, trinken, ein wenig telefonieren mit Freund*innen, Eltern, Schwestern und anderen nahen Menschen – damit ist ein Wochenbetttag restlos ausgefüllt.
Was zu tun übrig bleibt, bleibt den anderen, den Partner*innen und allen, die sich zum Helfen eignen, die zugreifen und sehen, was nötig ist, ohne sich einzumischen in dieses neue Gefüge, das sich vorsichtig formt.
Wäsche waschen, genug Lieblingsessen kochen, Bad und Toilette sauber halten, einkaufen, Besuche regulieren (maximal einer am Tag und der nur für eine Stunde, mit der Freiheit, ihn zu verschieben, wenn nötig), Geschirr spülen, zur Apotheke und einkaufen gehen, Amtliches erledigen, mit dem Baby Arzttermine wahrnehmen (mit oder ohne Mutter*). Auf dem Nachttischerl immer Gutes zum Essen nachfüllen, Tag und Nacht muss dort etwas bereit liegen, zu trinken auch.
Emotionales
Eltern, Väter*, Mütter*, Geschwister, Großeltern, Freunde* sind berührt und bedürftig.
Der emotionale Zustand der Mutter* nach der Geburt ist selten stabil. Er ändert sich, abhängig von Schlaf, Wochenbetttag, Ernährungssituation des Babys, Beistand durch den Partner/die Partnerin, Auswirkung von Besuchen. Unterstützend wirkt auch hier immer, wenn genug gutes Essen vorhanden ist und ein Hilfesystem, das sich weder aufdrängt noch beleidigt wegbleibt, wenn es in die Schranken gewiesen wurde.
Fallweise treten schon durchlebte psychische Labilitäten oder Erkrankungen in dieser Zeit wieder auf, hier reicht nur praktische Unterstützung oft nicht aus.
Rat bei anerkannten Stellen zu suchen macht Sinn. Es werden die Partner*innen sein, denen es am ehesten auffällt, dass es sich nicht um eine kleine Verstimmung handelt, sondern um einen Zustand, in dem die ganze Familie Hilfe benötigt. Auch Neugeborene können Depressionen entwickeln, wenn das Gegenüber an solchen leidet und die Pflegesituationen scheinbar emotionslos verrichtet. Das Baby braucht Beziehungspersonen, die lebendig und wach mit ihm umgehen.
Gesellschaftliches
Die Bezeichnung „Wochenbett“ ist aus dem allgemeinen Sprachgebrauch fast verschwunden, so auch dessen Besonderheiten und Erfordernisse.
Effizient, fit und gleichzeitig entspannt wird da niemand sein.
Die Beziehungen, die in der Familie erst im Entstehen sind, brauchen Raum und Aufmerksamkeit, aber auch ernsthafte und engagierte Bemühungen der Mütter*, Väter*, Partner*innen.
Viele werdende Väter* und Partner*innen möchten diese Wochen mit der Familie sein und im neuen Gefüge ihren Platz finden.
Chaos ist der Alltag, und um sich dort zurecht zu finden, braucht es die Möglichkeit des Papamonats, die Aufteilung der Versorgungsarbeit und einen größeren Kreis von Menschen, die zu Hilfe eilen, wenn es nötig und erwünscht ist.
Privates, Geheimes
Der Stolz über die Geburt, die gemeistert wurde von der Frau*, und über den Beistand, der ihr von den Partner*innen gegeben wurde, kommt oft nicht zur Sprache – er ist immer berechtigt, ganz gleich, wie die Geburt verlaufen ist. Ein neuer Mensch kam zur Welt und alle haben getan, was sie konnten.
Geheim bleibt meistens, wenn das Geschlecht des Kindes für die Mutter* oder den anderen Elternteil schwer anzunehmen ist.
Die Schwierigkeiten mit der Aufteilung der anfallenden Arbeiten werden in unserer Zeit oft nicht benannt, Scham kommt auf, wenn klassische Rollenverteilungen beibehalten werden. Neue, unbekannte, selbstgeschneiderte Wege zu gehen, kann vor allem in den ersten Monaten konfliktbehaftet sein, zahlt sich aber mittel- und langfristig aus.
Unausgesprochen bleibt oft der Wunsch der Frau*, wieder einmal mit ihren Freund*innen ins Kino oder in ein Kaffeehaus zu gehen – ganz ohne Kind. Würde sie es sagen und ausprobieren, wäre das eine wunderbare Möglichkeit, dem Partner, der Partnerin für ganz kurze Zeit die volle Verantwortung – auch Freiheit – für die Betreuung des Neugeborenen zu geben.
Selbst das überfließende Gefühl der großen Zuneigung und Liebe zum Baby und auch zum Partner, zur Partnerin, kann so neu sein, dass es unaussprechlich scheint. Es ist, als käme nicht nur ein neuer Mensch auf die Welt, auch neue Dimensionen im Fühlen werden geboren.
Unbekanntes, Unbenanntes
Der verliebte Blick auf das Neugeborene, ein oft verwendetes Bild, das nicht immer der Realität entspricht. Ob die Liebe zum Neugeborenen sofort spürbar ist, ob sie in den ersten Tagen wächst, ob eine Fremdheit länger bleibt, so unterschiedlich wachsen die Beziehungen. Die Mütter*, auch die Väter* und die Partner*innen bemühen sich, es gut zu machen, unterschiedlichen Erwartungen zu entsprechen. Dennoch fühlen sie sich manchmal sehr fremd im neuen Dasein und bezweifeln, ob sie das so wollten. Schwieriges auszutauschen oder aufzuschreiben – nur für sich selbst – kann in dieser Zeit helfen. Die Hebamme schaut einerseits auf die letzten 24 Stunden und die nächsten, sie berät konkret zu aktuellen Fragestellungen. Sie kommt in den ersten fünf Tagen täglich, dann in größeren Abständen und wacht über die ganze Familie. Macht sie sich Sorgen um das Wohl eines Familienmitgliedes, auf welcher Ebene auch immer, hat sie dafür Worte zu finden und darf sich nicht scheuen, darüber zu reden.
Im Wochenbett beginnt nicht nur die Beziehung zum Neugeborenen, auch die Fürsorge für diese neue Person, ein Wesen, das erst nach Tagen mit Namen bedacht wird, weil noch so fremd, ist verlangt. Die Babys sind kompetent und dennoch äußerst bedürftig, ständig ist Aufmerksamkeit gefordert und Ideen sind gefragt. Eigene Fürsorgeerfahrungen aus der frühen Kindheit der Eltern prägen deren Fähigkeit, sich gut um ihre Kinder zu kümmern. Fehlen hier gute Erfahrungen, braucht es Gespräche, konkrete Handlungsanleitungen und Raum, Traurigkeit auszudrücken.
Verwenden Sie das Wochenbett zur Entdeckung neuer Welten in sich selbst und mit dem Baby, rechnen Sie mit vielen frohen Tagen und einigen schweren Stunden, lassen Sie den Staub unter den Schränken wachsen und üben Sie das Weitergehen im wirren Alltag, das neue Leben mit Kind wird noch länger so bleiben. Schönheit trägt es immer in sich.
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