Texte rund um die Hebammenarbeit | Postpartale Depression
OÄ. Drin. Claudia Reiner-Lawugger
Depression in der Schwangerschaft und in der Zeit nach der Geburt
Die Zeit der Schwangerschaft und das erste Lebensjahr des Kindes ist für viele Frauen einer der intensivsten Abschnitte ihres Lebens. Sie sind zwar oft erschöpft, aber glücklich über ihr Baby und ihre neue Rolle als Mutter. Für einige Mütter gestaltet sich dieser Lebensabschnitt aber gar nicht so rosig, wie sie sich das vorgestellt haben. Diese Mütter entwickeln in der Schwangerschaft oder postpartal eine Depression oder Angsterkrankung. Depressionen und psychische Krisen in diesem Lebensabschnitt sind nach wie vor ein Tabuthema. Dabei wurde bereits 1858 das erste Mal von Louis-Victor Marcé eine postpartale Depression beschrieben, also eine Depression, die ursächlich mit der neuen Lebenssituation zu tun hat. Wir wissen mittlerweile aus vielen internationalen Studien, dass ca. 10-15% aller Frauen an einer peripartalen Depression erkranken.
Risikofaktoren
Die Geburt eines Kindes stellt im Leben einer Frau immer ein ganz besonders wichtiges Ereignis dar, das viele Bereiche des Lebens nachhaltig beeinflusst. Gerade die Geburt des ersten Kindes stellt auch die Partnerschaft auf eine Probe. Es ist nicht einfach, aus der Paarbeziehung in eine Dreierbeziehung zu wechseln. Viele unbewusste Wünsche, Traditionen und Familienstrukturen wirken hier auf das zukünftige Elternpaar. Oft sind die Vorstellungen unterschiedlich und müssen erst im Laufe der Schwangerschaft aufeinander abgestimmt werden. Das ist nicht immer konfliktfrei und häufig kommt es schon in der Schwangerschaft zu Spannungen in der Beziehung. Auch auf die Karriereplanung und die Finanzen hat die Geburt eines Kindes Auswirkungen.
Das „Live Event“ Geburt ist für alle Paare eine Herausforderung und der Beginn eines neuen Lebensabschnittes. Die meisten Familien können diese Situation gut managen. Welche Risikofaktoren spielen jetzt bei der Entwicklung einer Depression eine Rolle?
Frauen, die schon früher an einer psychischen Erkrankung, an einer Depression oder Angstzuständen gelitten haben, zeigen peripartal ein deutlich erhöhtes Depressionsrisiko. Sollte eine Frau schon einmal ein Kind geboren haben und in dieser Zeit psychisch erkrankt gewesen sein, dann besteht das Risiko einer Wiedererkrankung sogar bis zu 60%. Frauen, die auf wenig soziale Unterstützung und Anerkennung zählen können, die einen niedrigen Selbstwert haben oder die Schwierigkeiten in ihrer Partnerschaft haben, gehören ebenfalls zu einer großen Risikogruppe, die sicher ein spezielle Förderung in dieser Zeit durch ein professionelles Netzwerk brauchen.
Eine besonders gefährdete Gruppe sind auch Frauen, die einen sehr hohen Anspruch an sich selbst haben und unter einem hohen Leistungsdruck stehen. Sie wollen alles richtig machen und scheitern schon an den unterschiedlichen Informationen, die sie durch die hunderten Ratgeber bekommen, die am Markt zur Verfügung stehen. Für diese Frauen ist es sehr hilfreich, Bezugspersonen wie z.B. Hebammen zu haben, die sie durch die Schwangerschaft und im ersten Jahr des Kindes begleiten und ihnen Sicherheit geben, damit sie nicht durch den Stress, den sie durch ihren Anspruch entwickeln, in eine Depression und Angsterkrankung rutschen.
Der Baby Blues
Ca. 50% aller jungen Mütter entwickeln in der ersten Woche postpartal den sogenannten Baby Blues, dabei handelt es sich um eine depressiv labile Stimmungslage, die sowohl aufgrund der Umstellung als auch durch die hormonellen Veränderungen hervorgerufen wird. Wichtig ist, dass Mütter bereits vor der Geburt über dieses Phänomen aufgeklärt werden, da sie sich dieser Situation dann oft besser gewachsen fühlen. Hilfreich ist es, die Mütter an diesen Tagen zu entlasten und ihnen hilfreich zur Seite zu stehen.
Depressionen peripartal (PPD)
Als präpartale Depression werden alle schweren länger dauernden behandlungsbedürftigen depressiven Erkrankungen vor der Geburt und als postpartale Depression die depressiven Erkrankungen im ersten Jahr nach einer Entbindung bezeichnet.
Es wird hier zwischen der Gruppe der Anpassungsstörungen (ca. 70% der PPD) und den schweren depressiven Erkrankungen differenziert.
Bei der großen Gruppe der Anpassungsstörungen finden wir bei den Müttern Symptome einer depressiven Verstimmung, emotionaler Instabilität, Gereiztheit, Weinerlichkeit, Angst- und Schlafstörungen. Der Beginn der Erkrankung ist schleichend und oft erst nach einigen Monaten sichtbar. Die Ursachen der Anpassungsstörungen liegen sehr häufig in der Überforderung mit der neuen Lebenssituation. Viele Mütter sind relativ bald nach der Geburt mit ihrem Baby alleine zu Hause und haben wenig soziale Unterstützung, oft ist auch durch die mangelnde Schlafruhe und die Fokussierung auf das Baby die Paarbeziehung sehr belastet. Gerade bei den Anpassungsstörungen besteht hier noch eine relativ lange
Latenzphase der Mütter, mit der schwierigen Situation umzugehen, und erst nach sechs bis sieben Monaten kommt es zum Ausbruch von Symptomen. Gerade diese Frauen sind prädestiniert für Unterstützung in Mutter-Kindgruppen und psychotherapeutische Interventionen. Oft geht es auch um die Auseinandersetzung mit internalisierten Mutterbildern, die überprüft werden müssen. Da es sich heute in vielen Fällen um Wunschbabys handelt, ist der Anspruch der Mütter sowohl an sich selbst als auch an die Kinder sehr hoch und viele stolpern dann über ihren eigenen Perfektionismus. Gerade hier können dann auch Eltern-Kind-Zentren und Familienhebammen eine hervorragende Hilfestellung geben.
Ein Kardinalsymptom der depressiven Erkrankungen spielt auch hier eine wichtige Rolle, und zwar die Schlafstörung. Schlafstörungen bei stillenden Müttern sollten nie bagatellisiert werden. Unter Schlafstörungen versteht man in dieser „schlafgestörten Zeit“ den Zustand, wenn Frauen nach dem Stillen oder dem Fläschchengeben in der Nacht nicht mehr einschlafen können und viele Stunden wach im Bett liegen. In diesen Fällen ist es wichtig, die Frauen mehr zu entlasten und manchmal lassen sich pflanzliche Präparate (Hopfen, Passionsblume...) oder kurzwirksame Tranquilizer in so einem Fall auch nicht vermeiden. Schlafstörungen, die rechtzeitig abgefangen werden, können allerdings die Entstehung einer depressiven Reaktion verhindern.
Depression
Schwere depressive Erkrankungen sind durch Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Verlangsamungen im Denken, depressiver Verstimmung und der Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, gekennzeichnet.
Diese Mütter haben gleichzeitig massive Schuld- und Versagensgefühle, weil sie sich ihrer Erkrankung sehr wohl bewusst sind, es ist ihnen klar, dass sie sich ihrem Kind gegenüber inadäquat verhalten und erleben darüber massive Versagensgefühle. In solchen Fällen ist es wichtig, dass die betroffenen Frauen rasch professionelle Hilfe erhalten. In der Therapie von depressiven Müttern ist es sehr wichtig, über die Erkrankung Depression aufzuklären, einerseits um die Mütter von Schuldgefühlen zu entlasten und andererseits um ihnen Hoffnung zu geben, dass diese Erkrankung auch zu bewältigen ist, denn viele Frauen haben zu diesem Zeitpunkt das Gefühl, dass sie nie wieder gesund werden können.
Eine antidepressive Therapie ist in diesen Fällen meistens dringend indiziert, die neuen Antidepressiva (SSRI, duale Antidepressiva) sind beim Stillen und bei regelmäßiger Kontrolle, wenn das Kind gesund und nicht frühgeboren ist, möglich. Die größte Schwierigkeit besteht hier darin, dass die Medikamente 14 Tage bis zum Wirkungseintritt brauchen, oft kommen Frauen aber bereits in einem sehr erschöpften Zustand das erste Mal zur fachärztlichen Kontrolle. Es ist deshalb notwendig, in diesen 14 Tagen eine sehr engmaschige Kontrolle durchzuführen, teilweise muss dies auch tranquilizergestützt geschehen.
Wie erstellt die Ärztin/der Arzt die Diagnose
Durch ein ausführliches Gespräch mit der Patientin und auch mit den Angehörigen muss sich die Ärztin/der Arzt ein Bild über den psychischen Zustand der Mutter machen. Es muss dabei vor allem beurteilt werden, ob eine medikamentöse Therapie notwendig ist und ob es noch möglich ist, dass die Mutter ihr Kind alleine versorgt, oder ob Hilfssysteme eingeschaltet werden müssen.
„Networking“ ist in dieser Zeit eine sehr wichtige Voraussetzung, um Frauen optimal helfen zu können. Nicht alle Frauen brauchen eine medikamentöse und psychiatrische Therapie, oft ist es ausreichend, im Rahmen von Eltern-Kind-Zentren, Schwangerschaftskursen, etc. edukativ mit den Frauen zu arbeiten, häufig sind auch psychotherapeutische Interventionen sinnvoll. Bei Frauen aus sozial schwachen Familien ist eine sozialarbeiterische Unterstützung oft hilfreich und verhindert viele weitere Konflikte.
Psychopharmakologische Therapie in der Schwangerschaft
Für eine Gruppe der Patientinnen ist eine antidepressive Therapie in der Schwangerschaft unumgänglich. Meistens sind dies Patientinnen, die unter schweren wiederkehrenden Depressionen oder Angsterkrankungen bzw. an akuten schweren Depressionen leiden. Jede Einstellung auf Psychopharmaka muss natürlich einer genauen Risikoabwägung und einer exakten Diagnostik unterzogen werden.
SSRI (Serotoninreuptake-Inhibitoren - eine Gruppe der Antidepressiva) gehören zu den Mitteln der Wahl bei therapiebedürftigen Depressionen in der Schwangerschaft. Die gut untersuchten und in der Schwangerschaft im Allgemeinen gut verträglichen Mittel Sertralin und Citalopram sollten bei einer Neueinstellung bevorzugt werden. Bei Patientinnen, die unter Therapie mit einem anderen SSRI schwanger wurden, sollte die Medikation unverändert fortgesetzt werden, um keine für Mutter und Kind bedrohlichen Krisen zu provozieren.
Die Anwendung eines weniger gut erprobten Antidepressivums im ersten Trimenon rechtfertigt weder einen risikobegründeten Schwangerschaftsabbruch noch invasive Diagnostik. Eine Ultraschallfeindiagnostik sollte jedoch angeboten werden (Schäfer, Spielmann, Vetter, 2006).
Geburt
Das Geburtsteam (Gynäkologin/Gynäkologe, Pädiaterin/Pädiater etc.) muss über die Psychopharmakatherapie der Mutter informiert sein. Gelegentlich kann es bei den Kindern zu Absetzphänomenen nach der Geburt kommen. Deshalb wird auch versucht, die antidepressive Therapie der Mutter einige Tage vor dem Geburtstermin zu reduzieren und postpartal wieder rasch aufzudosieren, damit diese Entzugssymptome reduziert werden können.
Auswirkungen der mütterlichen Depression auf das Baby
Unbehandelte depressive Mütter sind oft nicht in der Lage, adäquat auf die kindlichen Bedürfnisse zu reagieren. Das kann dazu führen, dass auch die Kinder ein depressives Interaktionsmuster entwickeln. Diese Kinder werden ruhig und zurückgezogen und lächeln im Kontakt kaum. Es konnte nachgewiesen werden, dass Säuglinge depressiver Mütter auch im EEG Veränderungen über dem rechten Frontallappen aufweisen und erhöhte Stresshormone haben. Diese Befunde sind gleich den Veränderungen wie bei chronisch depressiven Erwachsenen (Dawson und Ashman, 2000). Auch im kognitiven Bereich kann es zu Entwicklungsverzögerungen bis zum Schulalter kommen (Pawlby, 2001). Schon aufgrund dieser Befunde wird deutlich, wie wichtig die therapeutische Intervention bei depressiven Müttern ist, die Therapie der Mutter ist dann gleichzeitig die Prävention für das Kind.
Prognose
Die Prognose der peripartalen Depression ist sehr gut und sehr gut behandelbar. Allerdings muss man bei einer weiteren Schwangerschaft mit 60% Wiedererkrankungsrisiko rechnen, deshalb ist es sinnvoll, in diesem Fall schon in der Schwangerschaft auch noch symptomfrei eine geschulte Fachärztin aufzusuchen.
OÄ. Drin. Claudia Reiner-Lawugger
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
www.psy8.at
Übrigens sind auch 5-10% der Väter von einer postpartalen Depression betroffen.