Logo Hebammenzentrum

informiert begleitet unterstutzt blau

Kurse vor der Geburt | Technische Hilfsmittel als kulturelle Intervention?

Anita Pichler MLS, Hebamme

Geburtshilfe als Handwerk

Geburtshilfe ist ein uraltes Handwerk. Dieses Handwerk unterliegt ebenso wie alle anderen Handwerke Veränderungen, besonders im Gebrauch technischer Hilfsmittel. Die Hebamme (Geburtshelfer*in) soll immer besser in der Lage sein, Wahrnehmungen über den Verlauf der Geburt insbesondere über sich abzeichnende Risiken zu erlangen. Die letzte technische Errungenschaft in der Geburtshilfe ist der Ultraschall.
Richard Sennett, ein amerikanischer Soziologe, meint, dass ein gutes Handwerk dann vorliegt, wenn der Handwerker/die Handwerkerin von sich aus ein Interesse hat, ein gutes Handwerk abzuliefern. Das klingt banal, ist es aber nicht!

Die technische Dynamik

In Bezug auf die technische Entwicklung beschränke ich mich auf drei wichtige Hilfsmittel: das Hörrohr, das CTG, den Ultraschall.
Diese Entwicklung beinhaltet eine Dynamik der zunehmenden Informationsfülle. Mit dem Hörrohr steht nur eine Information zur Verfügung, der kindliche Herzschlag. Die weiteren beiden Instrumente ermöglichen jeweils mehr Informationen. Je mehr Informationen die Hebamme zur Verfügung hat, desto größer kann der Nutzen sein. Gleichzeitig jedoch kann es dazu führen, dass dieses „Mehr“ an Information zu Interventionen führt, die einem natürlichen Verlauf der Geburt im Wege steht. Die vielen „Notkaiserschnitte“ führen mitunter dazu, dass die Säuglinge durch ihren Frust, „herausgeschnitten“ worden zu sein, ihr erstes Lebensjahr als sogenannte Schreikinder verbringen. Ein Beispiel: Das CTG wird als „schlecht“ interpretiert, das führt zu einem „Notkaiserschnitt“ mit dem Ergebnis eines schreienden Kindes mit Apgar 9/10/10. In diesem Fall wurde überreagiert, wenn die Herztöne als „schlecht“ interpretiert werden, müsste als logische Folge ein Kind zur Welt kommen, das Atemnot hat und einen Kinderarzt braucht. Und trotz Atemnot bei der Geburt sind diese Kinder zufriedener nach der Geburt, weil es für sie ja Sinn gemacht hat, „gerettet“ worden zu sein.

Die Umkehrung des Handwerks?

Bei einer Geburt sollte die Hebamme das Kind im Mittelpunkt sehen. Dazu bedarf es der Kommunikation, das sind in der Geburtshilfe Sprache und menschliche Berührung, also ein Set von Sehen, Hören, Tasten („Begreifen“). Dieses Set und die Kommunikation zähle ich zum guten Handwerk einer Hebamme.
Sobald eine Hebamme/Geburtshelfer*in die technischen Hilfsmittel als Hauptwahrnehmungsmittel nutzt, verabschiedet sie sich vom „guten Handwerk“. Prof. Saling und Prof. Göschen, die Väter des CTGs, die ich noch selbst bei einem Vortrag hören durfte, bedauerten, dass das CTG von einem Hilfsinstrument zu einem Hauptentscheidungsinstrument geworden ist.

Der Ultraschall als weitere Verführung

Mit diesem guten Handwerk wandelt die Hebamme an der Grenze zwischen subjektiven und objektiven Eindrücken des Geburtsverlaufes. Der zunehmende Einsatz des Ultraschalls (US) unter der Geburt ist eine Einladung zugunsten des technischen Apparates, auf diese Kommunikation und dieses Handwerk zu verzichten. Dies passiert jetzt schon eindeutig zugunsten der permanenten Herztonüberwachung unter der Geburt. Die Ärzte haben verlernt, Vaginalbefunde zu erheben und der Dynamik eines normalen Geburtsverlaufes zu vertrauen, sie vertrauen eher dem US. Ein Beispiel: Eine Frau* kommt mit beginnenden Wehen zum Geburtstermin, Vaginalbefund: 2 Finger, kindlicher Kopf -4, stehende Fruchtblase. Das US-Bild zeigt ein verkehrt rotiertes Kind über dem Beckeneingang. Sofort wird Anweisung gegeben, wie die Frau* zu lagern sei. Die Empfehlung, Gebärende zur Bewegung/zum Umhergehen zu motivieren, wird bald wieder Geburtshilfegeschichte sein. Der US lädt zu voreiligen Handlungsanweisungen ein.

Die Technik als professionelle Norm

Trend ist die Gewichtsschätzung des Kindes mittels US zur vermeintlichen Vermeidung von Schulterdystokien bei Kindern ab 4.000g. Ich würde gerne die Statistik kennen, wo aufgrund der Gewichtsschätzung des Kindes sich Frauen* einen vorsorglichen Kaiserschnitt machen lassen, weil das Kind „zu groß“ ist.
Eine Beispiel: Ich habe es schon mehrfach erlebt, dass GynäkologInnen mittels Ultraschall das Gewicht des Kindes eingeschätzt haben und die werdende Mutter diese Information als zuverlässige Aussage wertet und sich zur Risikovermeidung einen Kaiserschnitt wünscht. Ich als Hebamme schätze mittels meinen Wahrnehmungshandwerk das Gewicht des Kindes wesentlich geringer ein und somit den risikovermeidenden Kaiserschnitt als nicht angebracht. Es bedarf oft hoher Überzeugungskunst, dass die Anwendung meines Handwerks eine zuverlässige Diagnose darstellt.
Die Deutung von US-Bildern verlangt viel Erfahrung, die manche Ärzte noch nicht haben. Obwohl das genannte Beispiel keinen Einzelfall darstellt, kenne ich keine feedbackorientierten Lernschleifen, um aus der Differenz von Realität (Normalgewicht) und normale Geburt und Maschinenbilder (Gewichtseinschätzung über 4.000g) zu lernen.

In einer Zeit der Geburtshilfe, da man noch Respekt vor einem Kaiserschnitt hatte, galt als Ausbildungs- und Betreuungsleitsatz: Schauen wir, ob dieses Kind (Größe/Gewicht /Persönlichkeit) mit diesen Wehen (die die Gebärmutter der Frau* produziert) durch dieses Becken der Frau* geht. Wenn dieser Leitsatz heute eingefordert wird, ruft der meist ein müdes Lächeln hervor. Da müsste man ja warten, schauen, beobachten – wer lernt das, wer kann das noch, wer will das noch?
Bei Hebammenstudentinnen stehen nicht mehr die Leopold´schen Handgriffe zur Lokalisierung des kindlichen Rückens im Mittelpunkt, sondern das ziellose Suchen mit dem Herztonschallkopf, und wenn dies nicht erfolgreich ist, rufen sie nach dem Ultraschall.

Zwei Bilder: Organismus oder Maschine

Wir haben es hier mit einem Dilemma zu tun: Die Technisierung fördert den Trend, den menschlichen Organismus als „Maschine“ zu betrachten. Bei Maschinen aber ist deren Funktionsweise vollkommen bekannt. Bei Organismen ist deren Funktionsweise aber nicht vollkommen bekannt, weil die Variablen und deren Verknüpfungsmöglichkeiten nahezu ins Unendliche gehen. Richter und Bewerter von Handlungverläufen stützen sich gerne auf Gewissheiten. Je mehr wir ihnen vormachen, dass der menschliche Körper zunehmend als Maschine betrachtet werden kann, umso mehr werden sie alles, was Gewissheit bietet, als „state of the art“ einfordern. Medizinische Innovation begründet sich dann nicht mehr auf der Erkundung des unendlichen Feldes des Unbekannten, sondern gründet sich auf die Angst, zu wenig Gewissheit bei medizinisch-rechtlichen Konflikten anbieten zu können. Ich halte diese Entwicklung für gefährlich, denn in Haftungsfragen wird in erster Linie auf klare und objektive Indikatoren Bezug genommen und die Nichtnutzung des US kann vorschnell als ein Behandlungsfehler ausgelegt werden.

Funktionen teilen

Daher glaube ich, dass eine Funktionsteilung sinnvoll wäre: Die Hebammen wandeln weiter an der Grenze zwischen subjektiven und objektiven Wahrnehmungs-Indikatoren und der Arzt/die Ärztin übernimmt die Verantwortung für die (scheinbar) objektiven Indikatoren. Aber auch hier würde ich mir wünschen, dass diese subjektive Kompetenz mehr als bisher in die Forschungsbeobachtung einfließt, denn wir wissen aus Innovationsprozessen, dass bei komplexen Situationen (also wo es keine vollkommene Gewissheit gibt) die Ahnung eine wichtige Rolle spielt.

Ein Gefühl/Ahnung zu haben, heißt eine abstrakte Gewissheit zu haben. Aber dieses Gefühl, diese Ahnung muss kommuniziert werden, damit sie für weitere Vertiefungen verfügbar gemacht werden kann. Genau das findet verfahrensmäßig zu wenig statt.Die Funktionsteilung zwischen Hebammen und Arzt/Ärztin stellt nicht einen konkurrierenden Handlungskontext her, sondern einen sich ergänzenden, der die Stärken beider Funktionen zur Entfaltung bringen kann.

Gefahr für Hausgeburtshilfe?

Technische Geburtshilfe im Krankenhaus verlangt zunehmend technische Instrumente in der Hausgeburtshilfe, da die Technik Eckdaten liefert, die in der Rechtsprechung Gültigkeit haben, z.B. Hebamme hört die Herztöne des Kindes mit dem Hörrohr oder Dopton (im Gesetz wird von adäquater Herztonüberwachung gesprochen), dann hört ja nur sie die Herztöne und interpretiert diese. Im Rechtsstreit wird dann grundsätzlich das Hören der Hebamme und deren Dokumentation als nicht beurteilbar, weil nicht visuell, wie beim CTG, angesehen. Ein Dilemma.

Technikfixiertheit auch bei Eltern

Ich erlebe häufig, dass Eltern, vor allem wenn sie keine Geburtsvorbereitung absolviert haben, zunächst der Technik höheres Vertrauen entgegenbringen als der Hebamme. Ein Beispiel: Eine werdende Mutter* gerät auf die Frage, ob sie Wehen habe bzw. was spüre, ins Stottern und schaut ratsuchend auf den Wehenschreiber. Und weiter: das betreuende Personal „begrüßt“ häufig bei Betreten eines Kreißzimmers zuerst das CTG-Gerät und dann erst die werdenden Eltern.

Kulturwandel

Hier hat ein Kulturwandel stattgefunden, der bedauernswert ist.
Daher möchte ich mein Bedauern darüber ausdrücken, dass die mir bekannten Fälle der Rechtsprechung davon ausgehen, dass in der Geburtshilfe Risiko 100%ig vermeidbar ist.
Das bedeutet, der menschlichen Körper wird eher als Maschine und nicht als lebender Organismus betrachtet.
Mein zweites Bedauern gilt den vielen Eltern, die sich dieser Meinung angeschlossen haben. Die aktuelle Tendenz zeigt, dass sich diese Haltung sowohl verbreitert (bei den Eltern) als auch vertieft (bei den Gutachtenden und Richter*innen). Solange es uns nicht gelingt, diesen Trend auf eine realistische und faire Risikoverteilung einzupendeln, solange werde ich versuchen zu vermeiden, dass wir Hebammen selbst die Illusion des Maschinenmodells mittragen.

Mit der Nutzung unserer Webseite erklären Sie sich damit einverstanden, Cookies zu erlauben.