Texte rund um die Hebammenarbeit | Vegan - rundum gesund durch die Schwangerschaft?
Christina Calderon, Ernährungsberaterin
Kaum ein anderes Thema entfacht eine größere Diskussion als die vermeintlich richtige Ernährung eines heranwachsenden Fötus.
Eine rein pflanzliche Ernährung für Schwangere ist umstritten, auch Ernährungsexpert*innen sind sich oft nicht einig.
Wird die vegane Lebensweise jedoch nicht respektiert, laufen Fachkräfte Gefahr, nicht gehört zu werden und nicht aufklären zu können, so das Netzwerk „Gesund ins Leben". Faktenbasierte Aufklärung auf Augenhöhe anstelle von kategorischer Ablehnung wäre für Ärzte und Ärztinnen sowie Hebammen also wichtig.
Was sagen die Expert*innen?
Die Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE) rät von einer rein pflanzlichen Ernährung in der Schwangerschaft ab und verweist auf die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Diese begründet ihre Aussage mit zu wenig repräsentativen Studien und einem geringen Ernährungswissen in der Gesellschaft. Die DGE/ÖGE stehen damit nicht allein da, jedoch gibt es auch Länder wie z.B. Amerika, Kanada, Großbritannien, Italien und Australien, die sich für eine gut geplante pflanzliche Ernährung in dieser Lebensphase aussprechen und oft sogar gesundheitliche Vorteile sehen.
Ist vegane Ernährung unnatürlich?
Ohne Nahrungsergänzung ist eine vegane Ernährung nicht möglich. Es braucht mindestens ein synthetisches B12-Präparat, denn Vitamin B12 lässt sich zuverlässig nicht über pflanzliche Ernährung decken. Das gehört mittlerweile zum allgemeinen Grundwissen. Naheliegend ist daher auch das verbreitete Argument, dass eine Ernährung, die Supplemente benötigt, nicht natürlich ist und somit nicht gesund sein kann. Aber ist dem wirklich so?
Ein schönes Beispiel zur Veranschaulichung stellt die Aufnahme von Selen dar: ein lebenswichtiges Spurenelement, von dem europäische Böden nur sehr geringe Mengen enthalten. In Finnland wird der Boden mit Selen gedüngt, demnach wachsen auch dort selenreiche Pflanzen. Menschen sowie Tiere, die diese Pflanzen verzehren, können ihren Selenbedarf so decken. In der DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) gibt es eine solche Nährstoffdüngung jedoch nicht. Damit die Gesellschaft trotzdem gut versorgt wird, erhalten viele Nutztiere hierzulande mit Selen angereichertes Tierfutter. So wird die Allgemeinbevölkerung zuverlässig mit selenreichem Fleisch, Eiern und Fisch versorgt.
Wer sich vegan ernähren möchte, kann nicht von den unterschiedlichen Supplementen im Futter der Tiere profitieren und muss in Eigenverantwortung handeln. Das betrifft z. B. Jod, Selen, B12. Hinzu kommt, dass tierische Produkte Schwangere mit weiteren wichtigen Nährstoffen versorgen, die für die richtige Entwicklung eines Fötus von großer Bedeutung sind.
Woher kommen die unterschiedlichen Ansichten?
Die unterschiedlichen Empfehlungen entstehen dadurch, dass einerseits in verschiedenen Ländern verschiedene Studien zu Rate gezogen werden und andererseits bestimmte Nährstoffzusätze in tierischen und pflanzlichen Produkten im Ausland die Norm darstellen. Daher ist es wichtig, genau hinzuschauen, bei welchen Nährstoffen Schwangere um Supplemente nicht herumkommen.
Was braucht ein Ungeborenes nun tatsächlich für seine Entwicklung?
Der Eisenbedarf verdoppelt sich in der Schwangerschaft und der Folatbedarf steigt um mehr als 80 %. Der Körper braucht vermehrt DHA (mehrfach ungesättigte Fettsäure), Jod, Zink, Protein und weiteres, um das Ungeborene gut zu versorgen. Das ist kein rein veganes Phänomen, sondern Tatsache für alle schwangeren Frauen*.
Daher gilt: Jede Ernährungsform bedarf jetzt besonderer Aufmerksamkeit. Lässt man tierische Produkte einfach weg, wird es natürlich schwer, seinen Nährstoffbedarf zu decken. Werden sie aber durch vollwertige, pflanzliche, nährstoffdichte Lebensmittel ersetzt, kann dies eine tierfreie bedarfsdeckende Ernährung ermöglichen.
Wer beispielsweise keinen fetten Seefisch isst, kann seinen marinen Omega 3-Bedarf durch Algenöl decken. Für eine adäquate Versorgung mit Calcium leisten grünes Gemüse wie Grünkohl und Brokkoli, aber auch calciumreiches Wasser einen guten Beitrag. Hülsenfrüchte, Vollkorn sowie Nüsse und Samen versorgen uns u. a. mit hochwertigem Protein, Zink und Eisen. Werden ferritinreiche Linsen genutzt, wird das Eisen hier ähnlich gut resorbiert wie das aus Fleisch stammende Häm-Eisen.
Wichtig für das gesunde Wachstum eines Ungeborenen sind weiters auch Selen, Vitamin B12, Vitamin D und Cholin. Auch hier gibt es (bis auf B12) pflanzliche Quellen, jedoch sind Supplemente oft die zuverlässigste Alternative.
ÖGE und DGE weisen darauf hin, dass eine spezialisierte Ernährungsberatung und ein Blutbild in dieser Phase von großer Bedeutung sind. Je bunter und abwechslungsreicher die Ernährung, desto eher ist gewährleistet, dass alle wichtigen Nährstoffe abgedeckt werden. Obst, Gemüse, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte sowie Nüsse/Samen sollten täglich auf dem Speiseplan stehen.