Texte rund um die Hebammenarbeit | Traumatisch erlebte Geburt
Maga. Margit Wurz, Psychologin und Psychotherapeutin
Warum es nicht gut ist, obwohl es doch - gut ausgegangen ist - … und wie es doch noch gut werden kann…
Die Geburt eines eigenen Kindes ist immer ein ganz besonderes Erlebnis im Leben einer Frau*, für viele einschneidend, überwältigend und dennoch großartig, für gar nicht so wenige, nämlich 10-15%, aber leider so überwältigend, dass sie traumatisch erlebt wird und noch lange schmerzvoll „nacharbeitet“.
Die Gründe dafür können ganz unterschiedlich sein: extreme Schmerzen, heftig erlebte geburtshilfliche Interventionen (Muttermundaufdehnung, Kristeller-Handgriff, Vakuumextraktion), Notkaiserschnitt, Operationen nach der Geburt, kritischer Zustand des Babys, Notfallversorgung und dadurch Trennung von Mutter* und Kind, Neonatologie und vieles andere mehr. All diesen Situationen innewohnend ist allerdings das Erleben von großer Angst, extremer Hilflosigkeit, massiven Gefühlen des Ausgeliefertseins und starkem Kontrollverlust. Oft ist dieses Erleben auch gekoppelt mit einem schmerzhaft intensiven Gefühl, ganz alleine zu sein, nicht wahrgenommen zu werden und von den Ereignissen und/oder den anderen Menschen überrollt zu werden.
In solchen höchst bedrohlich empfundenen Situationen, in denen unsere üblichen Bewältigungsstrategien nicht mehr ausreichen, schaltet unser Gehirn automatisch auf ein Notfallprogramm, das sich in der Evolution sehr bewährt hat. Ziel ist es, eigentlich unaushaltbare Situationen doch irgendwie zu überleben. In diesem Notfallmodus haben wir nur drei Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung: Kampf, Flucht oder Todstellreflex (Freezing).
Was dabei hirnphysiologisch passiert, möchte ich hier kurz verständlich machen: In der traumatischen Situation wird der Hippocampus, die Hirnregion, die dafür zuständig ist, Erinnerungen im Kontext zu speichern, kurzfristig deaktiviert. Kontext heißt z.B. die zeitliche Abfolge, was war davor, was danach, wer war noch im Raum, Geräusche, Gerüche, Temperatur, Wetter usw. Viele dieser Einzelreize werden oft gar nicht bewusst wahrgenommen, der Hippocampus benötigt sie aber, um aus einem Erlebnis eine Erinnerung zu generieren und ins Langzeitgedächtnis zu speichern. Für einen Notfall dauert das dem Gehirn aber zu lange, also übernimmt in der traumatischen Situation die Amygdala (eine andere Hirnregion) die Speicherung und diese ist u.a. dafür zuständig, Einzelreize mit Angstreaktionen zu koppeln. Das heißt: ein Geräusch, ein Blick, ein Geruch, ein Gedanke usw. wird wie eine Alarmanlage in der Amygdala abgelegt. Ist man nun mit einem sehr ähnlichen Reiz (=Trigger) konfrontiert, so schlägt die Alarmanlage im Bruchteil einer Millisekunde an und versetzt einen emotional zurück in die traumatische Situation. In diesem Moment ist es nicht mehr möglich zu spüren, „es war dort und damals und es war ganz schrecklich, aber ich bin jetzt hier (und in Sicherheit)“, sondern man ist emotional wieder in der traumatischen Situation und erlebt all die schrecklichen Gefühle wieder, als wäre keine Zeit vergangen. Man nennt dieses Phänomen auch „Flashback“, eine in der Evolution höchst effiziente Überlebensmethode, im Sinne von Gefahrensituationen noch schneller zu erkennen und noch schneller mit Kampf, Flucht oder Todstellreflex zu reagieren.
Hirnphysiologisch läuft dieses Notfallprogramm bei allen traumatisch erlebten Situationen gleich ab, egal ob es sich um einen Unfall, eine Naturkatastrophe, einen Überfall oder eine sonstig hoch bedrohliche Situation handelt. Es ist für all diese Erlebnisse typisch, dass die Erinnerungen nur fragmentiert zur Verfügung stehen, oft eine zeitliche Reihenfolge kaum zu rekonstruieren ist, einzelne Momente sich viel länger („ewig“) anfühlen, als sie realistischer Weise gewesen sein konnten, etliche Details nicht erinnerbar oder zuordenbar sind usw. Und es ist klar, dass das Gehirn einige Zeit braucht, um das Erlebte zu verarbeiten.
Was bedeutet das aber nun konkret für traumatisch erlebte Geburten? Üblicherweise ist es während Geburten nicht möglich, sich heraus zu kämpfen oder zu fliehen, also bleibt meist nur der Todstellreflex als einzige Überlebensstrategie. Dabei wird das Spüren weitgehend ausgeschalten oder eingefroren (freezing), viele Frauen* beschreiben es so, alles nur mehr durch einen Nebel wahrgenommen zu haben, manche, dass sie ihren Körper verlassen und von außen zugesehen hätten, oder dass sie sich in ihren Körper (meist in den Kopf) ganz klein zurückgezogen hätten, sodass sie fast nicht mehr vorhanden gewesen wären.
Man nennt das auch dissoziative Zustände, ein meines Erachtens großartiger Trick der Psyche, um unerträgliche Situationen/Schmerzen zu überleben. In diesem Sinne ist es mir wichtig zu betonen, dass solche Zustände „normale“, gesunde Reaktionen auf eine Extrembelastung sind und keine Störung!
Die Psyche braucht jedoch Zeit, um sich von so einem schockierenden Erlebnis zu erholen, dadurch ist es Frauen*, die durch eine solchen Extremsituation gehen mussten, oft nicht möglich, sich sofort über ihr Kind zu freuen oder die Liebe zu dem Kind so zu spüren, wie sie sich das erwartet hätten.
Beim Todstellreflex werden alle Gefühle aufs Minimum reduziert, die unangenehmen genauso wie die schönen, und die Frauen* haben oft noch Tage und Wochen lang das Gefühl, sich selbst nicht mehr richtig zu spüren und damit oft auch nicht ihr Kind. Sie erleben sich selbst über weite Strecken „wie Hüllen, die irgendwie funktionieren, aber nicht wirklich leben“ und haben das Gefühl, „sich selbst nicht wiederzuerkennen“ (Depersonalisationserleben). Auch die Umgebung und der Alltag wird oft „unwirklich und fremd“ erlebt (Derealisationserleben), so als „wäre man im falschen Film gefangen“.
Alternierend zu diesem beängstigenden Gefühl, sich nicht zu spüren, müssen betroffene Frauen* aber immer wieder an die Ereignisse während der Geburt denken und werden dabei von den heftigsten Gefühlen der Angst, Hilflosigkeit, Wut usw. überschwemmt, leiden unter Weinattacken und Panikzuständen (Flashbacks). Auch klagen sie oft über extreme Unruhe und Schlaflosigkeit (selbst, wenn das Kind sie schlafen lassen würde), über Gedanken, sich oder dem Kind etwas antun zu können oder das Gefühl, generell keinen Boden unter den Füßen zu bekommen.
All dies sind Anzeichen dafür, dass das Gehirn auf Hochtouren arbeitet, um das Erlebte zu verarbeiten und zu integrieren. Deshalb sind diese Phänomene bis sechs Monate nach der Geburt als posttraumatische Belastungsreaktionen und nicht als „Störung“ zu sehen!
(Anmerkung: Posttraumatische Belastungsreaktionen muten zwar manchmal depressiv an, sind aber keine postpartale Depression (!) und auch dementsprechend anders zu behandeln! Siehe Artikel „Postpartale Depression")
Diese Reaktionen sind für die Frau* und oft auch für ihr Umfeld sehr belastend, der oft gutgemeinte Ratschlag „Es ist doch alles gut ausgegangen, jetzt sei doch endlich glücklich!“ ist absolut kontraproduktiv (und für betroffene Frauen* ein „No-Go“), weil, wenn´s so einfach wäre, würde frau eh liebend gerne glücklich sein… Dennoch, es gibt gute Möglichkeiten, das Gehirn zu unterstützen und den Integrationsprozess zu beschleunigen!
Die erste Strategie ist das, was viele, wenn das Umfeld passt, instinktiv automatisch tun: darüber reden! Immer wieder erzählen, die aufkommenden Gefühle zulassen (so heftig sie auch sind), damit der Schrecken „rausgeweint“, „rausgezittert“ oder auch „rausgeschimpft“ werden darf. Bei jedem Erzählen werden die fragmentierten Erinnerungen mit Kontext angereichert und somit immer mehr zu einer Geschichte geformt, die der Hippocampus doch noch ins Langzeitgedächtnis speichern kann. Viele beschreiben das so, dass es mit jedem Mal Erzählen ein Stück „realer“ wird. Vor allem in den ersten acht Wochen passiert sehr viel von diesem Integrationsprozess und macht das Reden darüber enorm viel Sinn. Auch aktive Rekonstruktionen der Ereignisse, z.B. in Nachgesprächen mit (beteiligten) Hebammen oder Ärzt*innen können sehr hilfreich sein. Bei Trennungserlebnissen/Kaiserschnitten kann ein Bindungsbad viel wieder gut machen. Auch körperorientierte Therapien wie Osteopathie/Cranio Sacral Therapie schaffen oft große Erleichterung und fördern die Integration.
Bis sechs Monate nach einem traumatischen Erlebnis speichert das Gehirn beim Wiedererinnern/Erzählen noch Alarmanlagen ins Langzeitgedächtnis um, danach verändert sich üblicher Weise ohne traumatherapeutische Hilfe leider nicht mehr viel. (Da hilft dann das „nur so“ darüber Reden auch nicht mehr, sondern führt eher zu Retraumatisierungen.) Die verbliebenen Alarmanlagen werden bei entsprechenden Reizen gleich stark getriggert, egal wie viele Jahre seit dem Trauma vergangen sind.
Bei starken Belastungsreaktionen nach traumatisch erlebten Geburten, vor allem wenn es zu einem Verharren im Todstellreflex mit all seinen Derealisations- und Depersonalisationsgefühlen kommt und/oder man das Gefühl hat, dass die Beziehung zum Kind beeinträchtigt ist, macht es Sinn, sich möglichst schnell traumatherapeutische Unterstützung zu holen und nicht die acht Wochen oder sechs Monate abzuwarten (und sich weiter zu quälen).
Traumatherapeutische Methoden, wie EMI, EMDR oder Brainspotting, arbeiten gezielt auf der neuronalen Ebene, um die nicht integrierten Gedächtnisinhalte (=die Alarmanlagen) zu bündeln, mit Kontext anzureichern und so aufzubereiten, dass der Hippocampus sie ins Langzeitgedächtnis speichern kann. Was dadurch erreicht wird, ist eine emotionale Distanz zu dem Erlebten, d.h. dass man zu jeder Zeit spüren und sagen kann „es war dort und damals und es war entsetzlich, aber jetzt ich bin hier und im Jetzt und es ist vorbei!“ Die Erinnerung an das Erlebte wird einen wahrscheinlich immer berühren, darf es auch, aber sie wird einen nicht mehr mit all den unaushaltbaren Gefühlen überschwemmen oder den Todstellreflex reaktivieren.
Manchen Frauen* wird die Belastung des traumatischen Erlebnisses der Geburt erst bei einem weiteren Kinderwunsch oder in einer Folgeschwangerschaft (wieder) bewusst, auch dann kann traumatherapeutisch gut geholfen werden, damit die Schwangerschaften und Geburten gut differenziert und als eigenständige Ereignisse erlebt werden können.
Wie unterschiedliche Reaktionen nach der Geburt eines Kindes verstanden werden können und ob bzw. welche Unterstützung/Behandlung sinnvoll wäre, um das Erlebte gut zu verarbeiten und zu integrieren, kann bei einer psychologischen Beratung z.B. im Hebammenzentrum abgeklärt werden.
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